Verbandsliga, 5. Runde: SV Jedesheim – SG KK Hohentübingen 4.5:3.5
Alles im Griff
Nach den letzten beiden Spielen dürfte es sowieso offensichtlich sein, also kann das kleine Geheimnis nun gelüftet werden: Die Königskinder wollen ja gar nicht aufsteigen. Oberliga ist doof. Da muss man bis in den hohen Norden fahren, gewisse Exzentriker treiben ihr Unwesen und man spielt mit einer neumodischen Bedenkzeit, die sich einst FIDE-Präsident Super-Illu im Vollrausch ausgedacht hat. So einen Käse tut man sich lieber nicht an. Nachdem die Königskinder völlig überraschend mit 6:0 Punkten in die Saison gestartet waren, mussten daher dringende Maßnahmen getroffen werden, um die Aufstiegsgefahr zu bannen. Ein achtbarer Teilerfolg gelang bereits gegen Fils-Lauter, immerhin selbst ein ausgebuffter Experte im Nichtaufsteigen. Nach einer gewaltsam aufgedrückten 4:1-Führung konnte mit viel Kampfgeist wenigstens noch ein 4:4 errungen werden (wir berichteten).
Gegen den SV Jedesheim, einen nominell schwächeren und harmlos agierenden Gegner, gelang noch eine Steigerung der subtilen Strategie, die schon ziemlich nahe an der Perfektion war. Es war wirklich ein grandioser Bluff. Man darf schließlich seine Karten nicht zu früh aufdecken, sonst durchschaut der Gegner das Spiel und spielt womöglich ebenfalls auf Verlust. Die wahre Kunst besteht darin, hier und da ein paar vernünftige Züge einzustreuen, sogar die ein oder andere Partie zu gewinnen, um zum Schluss schließlich die Pointe auszupacken. Dementsprechend kannte Jonathan Reichel (3) zunächst kein Pardon und überrollte Peter Rudolf kurzerhand im Königsangriff. Ein zweiter Sieg gleich hinterher wäre aber doch zu riskant gewesen, deshalb begnügte sich Kai Schumann (5) lieber mit einer Zugwiederholung, anstatt Arnd Mayer in Gewinnstellung vollends den Rest zu geben. Ganz schön abmühen musste sich Bernd Staufenberger (6), dessen Gegner Clemens von Schwerin die Eröffnung mit Weiß so desolat spielte, dass Schwarz laut Houdini schon nach 7 Zügen auf Gewinn stand. Da musste Bernd schon tief in die Trickkiste greifen und z.B. mit gespielter Naivität einen vergifteten Bauern fressen – als ob er die Gefahr nicht erkannt hätte! Am Ende kam tatsächlich noch eine souveräne Niederlage heraus. Auch Lauritz Jansen (8) gefiel mit einem raffinierten Wechsel von guten und schlechten Zügen. Immer wieder kämpfte er sich gegen Dusan Vukovic scheinbar heran, um sich im Endspiel dann doch noch „überlisten“ zu lassen. Teamchef Michael Schwerteck (4) beherrscht das Verpatzen guter Stellungen sowieso wie kein Zweiter, da kommt ihm die aktuelle Situation wunderbar entgegen. Sogar mit einem völlig ambitionslos handelnden Gegner wie Michael Knuplesch, der nur von Remis träumte, kam er zurecht. Dafür waren allerdings schon ziemlich harte Maßnahmen gefragt, wie die Außerachtlassung natürlichster Züge, z.B. der Rochade. Der Gegner wollte zwar weiterhin nichts und wickelte nur in ein ausgeglichenes Endspiel ab, wurde aber dann doch noch zu seinem Glück gezwungen. 1,5:3,5 also schon der Rückstand, aber man musste damit rechnen, dass Jedesheim allmählich Verdacht schöpfte. Der eigentliche Coup war sowieso erst für die letzte Partie geplant. Jörg Jansen (7) durfte daher gegen Markus Eichhorn seine überlegene Stellung normal weiterspielen und den vollen Punkt kassieren. Auch Karsten Neurohr (2) hatte gegen Emilian Hofer noch freie Hand und nutzte nach kompliziertem Verlauf einen Fehler des Gegners zu einem weiteren Sieg. So lag also beim Stand von 3,5:3,5 alles an der Partie am Spitzenbrett. Taktisch geschickt hatte Matthias Hönsch (1) im Mittelspiel bereits Dmitriy Anistratovs Remisangebot abgelehnt, da zu diesem Zeitpunkt noch bedenklich viele gute Stellungen zu verzeichnen waren. Klugerweise hatte er bei dieser Gelegenheit auch eine halbe Stunde seiner Bedenkzeit ablaufen lassen, um seinen gewaltigen Zeitvorsprung zu minimieren. Nach Erreichen der Zeitkontrolle waren alle übrigen Partien schon beendet und es war der Moment gekommen, um in der ausgeglichenen Stellung entscheidende Schwächen zu schaffen. Natürlich unter hohem Zeitverbrauch, damit die Kollegen sich derweil ihre Meisterwerke in aller Ausführlichkeit vorzeigen konnten. Tatsächlich hatte Anistratov den geheimen Masterplan immer noch nicht durchschaut und ließ sich leichtsinnigerweise zum Gewinn der Partie verführen. Zur Strafe steht seine Mannschaft nun punktgleich mit Ulm an der Tabellenspitze. Wen wird es wohl am Ende erwischen?